Titelgeschichte im EDELWEISS Travel Magazine
Ich hatte das Privileg, die Titelgeschichte für die neueste Ausgabe des EDELWEISS TRAVEL MAGAZINE, dem Bordmagazin der Schweizer Charterfluggesellschaft, zu verfassen. Es war mir wichtig, eine authentische Geschichte über Herausforderungen, Hoffnung und Menschlichkeit zu schreiben, die typisch für Südafrika sind. Es gibt viele weitere wunderbare Geschichten in diesem Land – nur selten werden sie mit der Welt geteilt. Lassen Sie mich diese mit Ihnen teilen.
Townships mit gutem Gewissen besuchen?
Viele Besucher Südafrikas fragen sich, ob es ethisch korrekt ist, Townships zu besuchen. Man möchte ja nicht taktlos sein. Trotzdem ist das ehrlich gemeinte Interesse gross, mehr darüber zu erfahren, wie die Menschen in den südafrikanischen Townships leben. Soll man sich also für diese geführten Ausflüge entscheiden? Die Antwort lautet ja. Es lohnt sich jedoch, eine solche Tour sorgfältig auszuwählen, denn es gibt grosse Unterschiede.
Gisela Piercey
Wenn man an einer Führung teilnimmt, wo man nur in einem Bus durch ein Township fährt und einem die Armut entgegenschlägt, ohne dass man zusätzliche Hintergrundinformationen zum dortigen Leben erfährt, hat man danach möglicherweise ein beklemmendes Gefühl. So sieht keine ideale Township-Tour aus. Ein Township-Besuch berührt Jeden, aber bei einem ausgewogenen, sorgfältig und verantwortungsbewusst zuammengestellten Erlebnis erhält man einen persönlichen Einblick in die lokale Gemeinschaft und erfährt nicht nur viel Interessantes über ihre täglichen Herausforderungen, sondern besonders auch die schönen Seiten. Und davon gibt es zahllose, denn die Einheimischen sind stolz auf Ihr Zuhause und freuen sich über das Interesse von Besuchern. Deshalb habe ich mich entschlossen herauszufinden, wie die Tour eines Anbieters in Kapstadt aussieht, welche nachhaltigen Tourismus betreibt.
Auf dem Fahrradsattel durch das staubige Township
Das Besondere an der interaktiven, kulturellen Township Tour von Awol Tours in Masiphumelele auf der südlichen Kaphalbinsel: Wir sind mit dem Fahrrad unterwegs! Wie gut unser lokale Guide Lutho sein Township kennt erfahren wir schon nach kurzer Zeit: Kaum sind wir losgefahren, grüsst er die Menschen links und rechts an jeder Strassenecke. Jeder scheint sich zu kennen – und das in in einem Township mit rund 30000 Einwohnern. Im gemächlichen Tempo bewegen wir uns über die staubigen und mit Abfall oder zerbrochenem Glas bedeckten Strassen von Masi, wie das Township liebevoll genannt wird. Masiphumele bedeutet «Let us succeed» in Xhosa und die Einwohner haben ihr Township kurzerhand selber so benannt. Wie bedeutungsvoll diese Bezeichnung ist wird uns erst nach der dreistündigen Führung klar.
Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit auf dem Sattel zeigt sich schnell, wie ideal das Fahrrad als Fortbewegungsmittel ist: Wir befinden uns so auf Augenhöhe mit den Menschen um uns herum, die uns mit strahlenden Gesichtern «Molo» zurufen, «Hallo» in Xhosa. Die freundlichen Gesichter sind ansteckend, und bald ertappe ich mich selber, wie ich selber Allen «Molo» zurufe. Wir fühlen uns willkommen.
Besucher werden in den vielen Krippen immer begeistert empfangen.
Einer unserer Stopps führt uns zu einer Kinderkrippe. Im Nu sind wir von 60 fröhlichen Kinderaugen umringt, und das lautstarke Spielen geht weiter – einfach mit uns mittendrin. Es besteht ein grosser Bedarf an guter Infrastruktur and Unterstützung für Krippen in Masi, um Kindern von 0-6 Jahren gut zu versorgen und viele internationale Volontäre helfen aus, wo sie können. Der Abschied von der glücklichen Kinderschaar fehlt uns schwer, die Kleinen wollen sich einfach nicht mehr von uns trennen.
Mangelde Grundversorgung durch zu starkes Wachstum
Lutho erzählt uns, wie Masi entstanden ist und zeigt uns die einzelnen Einrichtungen im Zentrum der Gemeinde. Das Township, das vor allem Menschen aus dem Ostkap beherbergt, ist so rasch gewachsen, dass es keine genügende Grundversorgung für alle Einwohner gibt. Ein grosser Teil von Masi besteht aus einem informellen Siedlungsgebiet, wo einfache Blechhütten aneinandergereiht sind, ohne jegliche sanitäre Einrichtungen, Strom und fliessendes Wasser. Enge Fusswege schlängeln sich an den Hütten mit den scharfen Blechkanten vorbei, hier kommen wir auch mit dem Fahrrad nicht vorbei. Immer wieder entstehen hier verheerende Brände, die sich innert kürzester Zeit auf die aneinandergebauten Hütten ausdehnen und Familien ohne ein Dach über dem Kopf zurücklassen. Trotz der offensichtlichen Armut sind die einzelnen Hütten oder Häuser liebevoll eingerichtet und wirken sehr aufgeräumt – die Einwohner sind ganz offensichtlich stolz auf ihr Zuhause, so klein es auch ist. Unter den Menschen herrscht eine enge Verbundenheit und man spürt, dass hier jeder aufeinander angewiesen und füreinander da ist, was die Gemeinschaft fördert.
Im informellen Teil von Masi sind die Hütten ohne sanitäre Einrichtungen.
Sangomas – traditionelle Heiler – sind ein integraler Teil der Xhosa-Kultur. Wir sind eingeladen, an einer Zeremonie mit Tanz und Trommeln teilzunehmen und erfahren spannende Fakten, wie Sangomas zu ihrer Bestimmung kommen und wie ihre Tätigkeit aussieht. Es ist eine fremde, exotische und mysteriöse Welt, die bei den Einheimischen einen unverzichtbaren Platz einnimmt.
Pap und Chakalaka
All die neuen Eindrücke haben uns hungrig gemacht, und kein Besuch eines Townships ist vollkommen ohne eine authentische traditionelle Mahlzeit! Zum Mittagessen sind wir in das Haus von Nonny eingeladen, die angeblich das beste traditionelle Essen weit und breit zubereitet. Das probieren wir gerne am eigenen Leib aus: Das Pap (ein Maismehlgericht) mit Chakalaka und Hühnchen schmeckt tatsächlich hervorragend und wir geniessen die herzliche Gastfreundschaft in Nonny’s Haus, wo auf dem Fernsehbildschirm gleichzeitig ein Prediger vor einer riesigen Zuschauermenge das Wort Gottes verkündet. Auch Religion ist im Township grossgeschrieben und der Sonntag ist den Menschen heilig. Dann ist fast jeder in der Kirche.
Photo: Awol Tours
Am Ende der Führung kommt wir wieder der Name von Masi in den Sinn: «Let us succeed». Es unterstreicht einerseits den grossen Optimismus, die Hoffnung und allgegenwärtige Lebensfreude der Menschen, und gleichzeitig auch die riesige Herausforderung, den notwendigen Bedürfnissen nach Infrastruktur und Grundversorgung nachzukommen, was ein langer und schwieriger Prozess ist.
Als wir unser Fahrrad zurückgeben und uns von Lutho verabschieden sind wir ob all der intensiven Eindrücke sprachlos. Uns wird klar: Einen Townshipbesuch kann man kaum beschreiben, man muss ihn erleben.
Mein Interview mit Trevor Noah
Um es gleich vorweg zu nehmen: es handelt sich um Fake News. Ich habe Trevor Noah nie getroffen. Leider. Aber beinahe. Wenn es Sie interessiert, was Trevor Noah mit meiner eigenen Lebensgeschichte zu tun hat: einfach weiterlesen.

Trevor Noah
Drehen wir das Rad drei Jahre zurück. Damals hatte ich die Emailadresse von Trevor Noah’s PR Manager vor mir. Ich plante ein Interview fuer eine Zeitschrift mit ihm, wo es sich um die Schweiz und Südafrika dreht. Trevor mit seiner südafrikanischen und Schweizer Abstammung: das passte perfekt. Zu jener Zeit hatte er als Stand-Up Komiker den Durchbruch in Südafrika bereits geschafft und tourte mit seiner Comedy Show durch die ganze Welt. Seine Bekanntheit war damals jedoch noch in erster Linie auf seine Heimat begrenzt.
Ich wollte mit ihm über seine Kindheit reden, welche er im Soweto-Township in Johannesburg erlebte. Wie fühlte es sich an, als Sohn einer südafrikanischen Xhosa und eines Deutschschweizers während der Apartheid aufzuwachsen, als gemischtrassige Beziehungen in Südafrika verboten waren? Und mit einer derart starken Mutterfigur, die ihn so enorm prägte, sowie einem Vater, der kaum präsent war. Ich hatte Fragen über Fragen.
Aber diese Fragen konnte ich ihm nie persönlich stellen. Jon Stewart machte mir einen Strich durch die Rechnung: der frühere Moderator der «Daily Show» bot ihm den Job als sein Nachfolger an und Trevor nahm die grösste Karrierechance seines Lebens an. Dies katapultierte ihn nicht nur auf den Sessel des Hosts einer der populärsten Late Night Talk Shows in den USA, sondern machte ihn über Nacht weltbekannt. Der Name Trevor Noah – übrigens sein echter Name – war plötzlich in aller Munde.
Ein Südafrikaner bringt Amerikaner zum Nachdenken
Seit Trevor bei der «Daily Show» übernommen hat habe ich keine Sendung verpasst. Dabei interessieren mich nicht die vornehmlich amerikanischen Themen, sondern wie Trevor sie in seiner Rolle als krasser Aussenseiter beleuchtet, analysiert und auf die Schippe nimmt. Da sitzt nun dieser junge Mann, der aus den ärmsten Verhältnissen Südafrikas stammt, und bringt die amerikanischen – und internationalen – Zuschauer zum Lachen. Aber nicht nur das: mit seiner ganz eigenen, subtilen und oft tiefsinnigen Art ruft sie Trevor zum Nachdenken auf. Erstaunlich, was in der modernen Gesellschaft in Erstweltländern alles schiefläuft, wenn man es einmal aus einer komplett anderen Perspektive anschaut. Ich kann es mir nicht verkneifen zu denken, dass dieser junge Südafrikaner momentan genau das ist, was Amerika braucht.
Trevor Noah’s home is Soweto, a large township in Johannesburg
Erst 34 Jahre alt, steht Trevor trotz seines Ruhms nach wie vor mit beiden Beinen auf dem Boden, ist absolut glaubwürdig und sich selber treu geblieben. Dies ist kein Zufall und hat mit seinem Vorbild zu tun: seiner Mutter Patricia, welche nach wie vor im gleichen Township wie früher lebt und unverändert ihrem einfachen Leben nachgeht. Sie interessiert sich überhaupt nicht für die Berühmtheit ihres Sohnes, nur für ihn als ihren Sohn. Diese Qualität hat Patricia Noah auf ihren Sohn übertragen, und aus diesem Grund hebt er nicht ab. Was soll ich sagen: ich finde Menschen, die nicht korrupt sind und sich den Kopf verdrehen lassen, einfach toll!
Lebenslektionen in Südafrika
Mein besonderes Interesse an Trevor’s Geschichte kommt daher, dass ich als Schweizerin selber seit 16 Jahren in Südafrika lebe. Den Grossteil davon habe ich im wilden, ursprünglichen Ostkap gewohnt, der Heimat von Trevors Mutter. Ich kenne die Xhosa-Kultur und -Menschen und die Südafrikaner, die in den Townships und einfachen Communities leben, haben einen grossen Einfluss auf mich. Von ihnen lerne ich die Werte, die mir persönlich am Wichtigsten erscheinen: Bescheidenheit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Lebensfreude und ein unglaublich ansteckender Optimismus. Gleichzeitig zeigt mir ihre einfache Lebensweise jeden Tag auf, wie privilegiert all jene leben, die ein richtiges Dach über den Kopf haben, ein Auto fahren und Bedürfnisse stillen können, die über den täglichen Überlebenskampf hinausgehen.
Im Township in Johannesburg hat Trevor gelernt, worauf es im Leben wirklich ankommt. Von seiner Kindheit dort stammen die wahren Qualitäten, die im Leben zählen und welche er nun mit der Welt teilt. Südafrika hat mich das Gleiche gelehrt.
Ein Zusammentreffen mit Trevor Noah habe ich knapp verpasst. Wie einst auch mit Nelson Mandela in Kapstadt. Aber das ist eine andere Geschichte.
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